In diesem Monat möchte ich hier einen Gast sprechen lassen: meinen Ehemann Manuel. Er ist Journalist und hat anlässlich des Vatertags einen Artikel über seinen Elternzeit geschrieben. Eine Freundin hat es gut zusammengefasst: „Es ist zum Lachen und zum Weinen.“ Mehr habe ich auch nicht hinzuzufügen.
Von Manuel Eser
Was mache ich eigentlich hier? Gerade habe ich in der Küche Schüsseln mit Breiresten ausgekratzt und Babyflaschen abgespült, da sehe ich, dass mein kleiner Sohn im Wohnzimmer ebenfalls ganze Arbeit geleistet hat. Anton hat sich um die Wäsche gekümmert, die ich gerade erst aufgehängt hatte. Jetzt sitzt er mit verwuscheltem Blondschopf in einem Haufen von Bodys, Stramplern und Lätzchen und schaut mit seinen leuchtend blauen Schussern grinsend zu mir nach oben. Während ich noch durchatme, dass der Wäscheständer ihn nicht unter sich begraben hat, fährt mir ein beißender Geruch in die Nase: Oh Mann, da steht ja noch der Reis auf dem Herd.
Als ich im November 2014 in Elternzeit gegangen bin, habe ich geahnt, dass die kommenden sechs Monate kein Strandspaziergang werden würden, und doch hatte ich andere Bilder im Kopf: ein acht Monate altes Kind, das stundenlang mit kleinen Autos spielt, während der Vater bei einer Tasse Kaffee die Zeitung liest. Dass ich Elternzeit nehmen möchte, habe ich von Anfang an gewusst. Schon in dem Moment, als ich mit Kathi auf einer Parkbank an der Alten Pinakothek in München saß. Damals, an einem sonnigen Julitag im Jahr 2013, hat sie mir kommentarlos ein Kuvert in die Hand gedrückt. Der Inhalt: ein Stäbchen. „Seltsam, warum schenkt mir meine Frau ein Thermometer?“ habe ich mich gefragt. Dann habe ich das Corpus Delicti doch noch identifiziert: ein Schwangerschaftstest. Tja, den hatte ich schon mal bestanden.
Ich wollte aber nicht nur Vater werden, sondern auch Vater sein. Als ich Anton zum ersten Mal gesehen habe, am 26. März 2014 im Kreissaal, wurde mir klar, dass ich noch nie etwas in meinem Leben nur annähernd so richtig machen wollte wie meine Rolle als Papa. Das bedeutet für mich mehr als fürs Geldverdienen verantwortlich zu sein. Ich möchte so viel Zeit wie möglich mit meinem Kind verbringen, und zwar nicht in 30 Jahren, wenn ich in Rente bin, sondern jetzt, wo er mich braucht, weil ich eine seiner zwei wichtigsten Bezugspersonen bin. Dass ich dabei vielleicht auch ein gesellschaftliches Zeichen setze, ist für mich ein schöner Nebenaspekt. Zwar gibt es inzwischen einige Väter, die bei ihrem Baby daheim bleiben, aber sie sind noch die Ausnahme. Das beweist schon dieser Text: Seit jeher ziehen Mütter Kinder groß, aber wann liest man schon mal einen derartigen Erfahrungsbericht von einer Mutter in der Zeitung? Ist ja normal, dass sie sich um den Nachwuchs kümmert. Sollte es aber nicht. Denn auch für jede Mutter ist es irgendwann das erste Mal, und auch fürs Mama-Sein gibt es keine Ausbildung.
Anfangs habe ich mich als Kinderwagen-Schieber in der freien Wildbahn wie ein Underdog gefühlt – egal ob auf dem Spielplatz oder in der Freisinger Innenstadt. Dabei hatte ich vor allem vor den älteren Frauen Respekt, denn Kathi musste sich in ihrer Elternzeit einige Sprüche anhören. Meistens richteten sich die Damen gleich an Anton: „Wieso zieht deine Mutter dich viel zu warm an?“ „Du bist doch hungrig.“ „Sollte dich die Mama nicht mal ins Bett bringen.“ Ich hingegen scheine überall einen Bonus zu genießen. Egal, ob an der U-Bahn-Haltestelle mal die Rolltreppe defekt war, oder ob ich beim Hantieren mit dem Baby und den Einkaufstaschen ins Schwitzen geraten bin – immer waren hilfreiche Hände in der Nähe. Lief dem Anton mal die Nase, und der Herr Vater hatte die Taschentücher vergessen – sofort fand sich eine reizende Dame, die ein Taschentuch hervorzaubern konnte. Da wurde der Papa richtig bemuttert. Auch die Mamis in der Krabbelgruppe haben mich herzlich in ihren Kreis aufgenommen. Dafür war ich für die Buben ein Gewinn. Klar haben die erst komisch geschaut, als beim Geburtstagsständchen im Chor der Sopranstimmen plötzlich ein Bass mitgebrabbelt hat. Aber nachdem sie ihren Respekt vor der Mama mit dem Bart abgelegt hatten, sind sie gern zu dritt auf mir rumgekrabbelt.
Nur einmal bin ich mir komisch vorgekommen: als der Opa eines Kindes zum Zuschauen gekommen ist – ein Mann, der nach alter Schule aussah. Da habe ich mich gefragt, was er sich denn gerade fragt: Was macht denn der Waschlappen da in der Mütterrunde? Warum ist der nicht in der Arbeit, sondern sagt mit den Mamas Krabbelverse auf? Aber diese Gedanken haben sich nicht in seinem, sondern in meinem Kopf abgespielt. Tatsächlich gab es nie einen Testosteron-Angriff auf den Hausmann.
Dabei ist es mit dem Hausmann nicht so weit her. Mir fehlt einfach die Routine darin, einen Geschirrspüler auszuräumen, während ein kleines Kind an meinem Hosenbein hängt. Wäsche waschen, kochen, wickeln, Babykotze aufwischen, Wohnung aufräumen, wieder kochen, Babykotze vom T-Shirt rubbeln. Wo bleibt denn da noch Zeit zum Spielen? Immerhin: In den ersten vier Wochen habe ich gleich mal drei Kilo abgenommen.
Dann habe ich für die tägliche To-Do-Liste, die meine Frau Kathi offenbar spielend bewältigt hat, eine Lösung gefunden: Ich habe sie einfach abgehängt. Und so sind auch diese Gedanken still geworden, die mich anfangs regelmäßig geplagt haben: dass ich meine Arbeitskollegen um ihren Job beneide; dass ich meinen Schreibtisch vermisse. Gedanken, für die ich mich geschämt habe. Jetzt bin ich – bitte alle Chefs weghören – sehr froh darüber, dass ich mir ein halbes Jahr Elternzeit gegönnt habe. Denn wäre ich nur die obligatorischen zwei Monate daheim geblieben, dann hätte die Arbeit genau in dem Moment wieder gerufen, in dem mein Sohn und ich zu einem Team wurden. Jetzt weiß ich: Zu jedem Mann, der Wäsche aufhängt, gehört ein kleiner Bub, der sie wieder abnimmt.
Anton braucht viel Bewegung, ist aber auch ein großer Tüftler, der sich ausdauernd physikalischen Problemen widmen kann: beispielsweise, wie sich der Kellerschlüssel auch ins Schloss der Wohnungstür bohren lässt, oder wie er die Schranktüre noch lauter zuknallen kann als saulaut. Mit Spielzeug gibt er sich hingegen nicht so gerne ab, ihn interessieren die wahren Dinge. Die Waschmaschine zum Beispiel. Abgesehen davon, dass er gerne mal von Fein- auf Kochwäsche umstellt, gelingt es ihm immer wieder, Gegenstände wie seinen armen Teddy in die Trommel zu schleusen. Nur gut, dass wir keinen Hamster haben.
Auch von meinem Handy macht Anton ausgiebig Gebrauch: „Kaugummi Liol dfyxxyxyya äa2.“ Sollten Sie von mir via WhatsApp eine derart mysteriöse Nachricht bekommen, wundern Sie sich nicht: Ich hatte entweder eine Nacht mit wenig Bettruhe, oder aber mein Sohn hat sie verfasst. Auch am Computer gelingen Anton tolle Sachen, von denen ich gar nicht wusste, dass sie möglich sind. Als seine zehn kleinen Finger munter über die Tastatur gewandert sind, hat er es doch tatsächlich geschafft, die gesamte Graphik auf dem Bildschirm um 90 Grad zu drehen. Es hat mich einen halben Nachmittag und einige Verrenkungen gekostet, bis das Bild wieder gestanden hat. Gut, dass Anton noch nicht die Tastenkombination kennt, die dazu führt, dass nur noch chinesische Schriftzeichen erscheinen. Dann kann ich den Kasten endgültig zum Wertstoffhof bringen.
Ganz ohne Kollateralschäden geht es freilich nicht: Unser Mixer hat schon bessere Zeiten erlebt, und auch das Schüssel-Sortiment ist überschaubar geworden. Aber seien wir mal ehrlich: Das meiste machen die lieben Eltern immer noch selbst kaputt. Der Sprung im Handy-Glas der Mama, das war nicht der Anton, das Telefon ist ihr schon selbst heruntergefallen. Und dass sich meine Armbanduhr nicht mehr schließen hat lassen, weil ein Metallstück verbogen war, hätte ich zwar gerne meinem Sohn in die Schuhe geschoben. Nachdem sich der Uhrmacher aber mehr als eine Dreiviertelstunde an dem guten Stück abgearbeitet hat, war er sich sicher: „Das schafft kein Einjähriger.“ Nicht mal Anton.
Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, ich hätte meiner Elternzeit furchtlos entgegengesehen. Für mich waren die ersten acht Monate meines Vaterseins komfortabel. Wenn ich abends von der Arbeit heimkam, ist Anton im Formel-1-Tempo und quietschend vor Freude auf mich zugekrabbelt. Dann haben wir eine Stunde lang Quatsch gemacht. Es waren sehr konzentrierte, glückliche Papa-Sohn-Momente. Von einem Tag auf den anderen aber habe ich rund um die Uhr die Verantwortung getragen. Jeder Moment, in dem Anton geweint hat, erschien mir so viel dringlicher als jedes Problem im Büro. Dazu kam die Angst, dass er mich vielleicht nie mehr so anstrahlt wie zuvor, weil ich nicht mehr sein cooler Papa bin, sondern eine – zumindest zeitweise – überforderte Erziehungskraft. Vor allem aber habe ich mir Sorgen gemacht, dass er sich bei mir nicht so gut weiterentwickelt, wie er es bei seiner Mama getan hat.
Umso glücklicher bin ich, dass der kleine Mann Tag für Tag Fortschritte gemacht hat. Aus dem Baby ist die kleinstmögliche Ausgabe eines Buben geworden. Er kotzt immer weniger und futtert immer mehr. Nudeln inhaliert er förmlich. Auch laufen kann er inzwischen. Als er die ersten fünf Meter vom Esstisch zum Sessel geschafft hat – wankend, aber nicht stürzend, wäre er fast geplatzt vor Stolz, und ich erst.
Aber auch ich habe viel gelernt, vor allem über meine Grenzen. Dass die anfangs viel enger gesetzt waren, als ich gedacht habe, doch genauso, dass ich sie stückweise nach außen verschieben kann. Vor allem habe ich gelernt, was Geduld wirklich bedeutet. Die Kleinen sind ja viel beharrlicher als die Großen. Ein Baby muss nun mal unzählige Gymnastikübungen einlegen, bis es laufen lernt. Wer 1000 Mal den Popo im Liegen hochstemmt, um es irgendwann mal nach oben zu schaffen, der kann auch 100 Mal die Stereoanlage ausmachen, wenn der Papa eine CD hören will. Ein Erwachsener hingegen gibt auf, wenn er zum zehnten Mal vergebens wieder eingeschaltet hat.
Oft genug kommt es auch vor, dass Anton unsere Besitztümer neu sortiert. Unvergesslich, als ich am Feierabend nach anstrengendem Tag einen Film anschauen wollte, aber feststellen musste, dass die Fernbedienung für den DVD-Spieler weg war. Also runter auf den Boden und das Schattenreich unter Schränken, Tischen und Sesseln absuchen. Nichts. Je länger ich erfolglos war, umso grantiger bin ich geworden. Als ich den Fahndungsgegenstand schließlich – leise, aber unaufhörlich vor mich hinfluchend – zwischen dem Innen- und Außentopf unserer Palme gefunden habe, hatte sich die Lust am Filmgucken längst wieder vom Acker gemacht.
Vor allem aber können die Nächte an den Nerven zerren, wenn Anton keine Ruhe gibt, weil er Bauchweh, Zahnweh oder einfach keine Lust zum Schlafen hat. Manchmal kann ich in der Früh kaum die Augen aufhalten, während er schon wieder die Energie hat, auf dem Wickeltisch ein schrill tönendes Spielzeug aufheulen zu lassen. Da bekommt das Wort Morgengrauen eine neue Bedeutung. Da möchte ich mich am Liebsten den Windeleimer hinabstürzen.
Doch der Kleine entschädigt seine Eltern dafür mit unzähligen kostbaren Kleinigkeiten: Wenn er seine kleinen Arme um meinen Hals schlingt, seine Nase bei mir zwischen Hals und Schlüsselbein drückt und mir euphorisches Kauderwelsch in die Schulter hineinbrabbelt, wenn seine roten Bäckchen leuchten, oder wenn er spitzbübisch lächelt, weil er den Staubsauger bedienen darf, dann möchte ich ihn am liebsten aufessen.
Das halbe Jahr hat Anton und mich sehr nah zusammengebracht. Okay, wenn Kathi heimkommt, bin ich zeitweise abgemeldet. Aber so ist nun mal die Hackordnung: An oberster Stelle steht die Mutter. Dank der Elternzeit liege ich aber knapp hinter der Spitzenreiterin. Mag die Mama der FC Bayern der Familienliga sein, ich bin nicht der abgeschlagene Rest der Tabelle. Deshalb bin ich extrem froh über meine Entscheidung.
Es ist viel Arbeit, bei seinem Kind daheim zu bleiben; es ist ein großer Luxus, bei seinem Kind daheim zu bleiben. Es ist manchmal anstrengend, viel öfter lustig und immer erfüllend. Viele Väter gehen in Elternzeit, während auch die Mama daheim ist. Ich bin stolz, dass ich es allein geschafft habe. Jeder Vater sollte das mal erfahren haben, zumindest eine Woche lang. Denn nur dann kann er ermessen, was die Mamas leisten. Nur dann können die Eltern auf Augenhöhe über ihre Kinder diskutieren. Nur dann weiß jeder, was Sache ist.
Ich bin traurig, dass es in zwei Wochen vorbei ist. Vielleicht sollte ich mir ein Beispiel an meinem Sohn nehmen: Der geht jetzt zur Tagesmutter. In der Früh steht er mit Mütze und Jacke an der Tür, den Sandeimer wie einen Aktenkoffer haltend, schaut zu mir hoch, und sein Blick sagt: „Hey Alter, mach auf, ich möchte zur Arbeit.“ Aber der Alte denkt sich: „Ich will nicht ins Büro. Ich will noch etwas länger hauptberuflicher Papa bleiben.“
Während ich das schreibe, sitzt Anton an der Stereoanlage. Und als hätte er es gespürt, dass mich die Wehmut packt, schaltet er den CD-Player an. Es erklingt die Stimme der Rapperin Fiva. Ein Lied, zu dem wir beide in den letzten sechs Monaten oft den Kopf gewippt haben. Der Titel: „Das Beste ist noch nicht vorbei.“
erschienen im Münchner Merkur Nr. 109 | Mittwoch/Donnerstag, 13./14. Mai 2015